Ankommen und Zusammenleben
Wie gelingen ein gutes Ankommen und Zusammenleben?
Es ist soweit: das Pflegekind zieht ein – mit einer eigenen Geschichte, gemischten Gefühlen, Hoffnungen und vielleicht auch Ängsten. Wie können Pflegeeltern einen sicheren und liebevollen Start gestalten? Wie viel Nähe tut gut – was ist zu viel? Und wie gelingt ein gutes Miteinander, das allen Familienmitgliedern gerecht wird? Dieser Beitrag gibt praktische Tipps für die ersten Wochen und macht Mut, Pflegefamilie zu werden.
Das erste Ankommen sensibel begleiten
Wenn ein Pflegekind in eine Familie kommt, beginnt für alle Beteiligten ein besonderer Abschnitt. Ein Kind mit seinen Erfahrungen, vielleicht mit Verletzungen, Unsicherheiten und großen Fragen, betritt ein neues Zuhause. Für Ihr Pflegekind bedeutet der Einzug ein Neuanfang. Es verlässt Vertrautes und trifft auf Unbekanntes – auf unbekannte Menschen, eine fremde Umgebung, andere Regeln und Routinen. Gerade jetzt kommt es darauf an, Ihrem Pflegekind mit Zurückhaltung, Achtsamkeit und Geduld zu begegnen. Beobachten Sie: Braucht es Rückzug oder sucht es Nähe? Beides ist in Ordnung. Wichtig ist, nichts erzwingen zu wollen. Lassen Sie sich auf das Tempo des Kindes ein. Und zeigen Sie durch Ihre Haltung: „Schön, dass du da bist. Du bist hier willkommen.“
Tipps:
- Gestalten Sie den Einzug ruhig und liebevoll.
- Ein kleines Willkommensritual – ein Namensschild an der Tür, ein Lieblingsessen oder ein Kuscheltier – kann helfen, Sicherheit zu vermitteln.
- Ihr Pflegekind bestimmt das Tempo. Lassen Sie dem Kind Zeit, sich zu orientieren sowie Familienregeln und Routinen kennenzulernen.
Sicherheit und Struktur geben
Pflegekinder brauchen vor allem eins: Verlässlichkeit. Ein strukturierter Alltag mit klaren Abläufen und gesteckten Grenzen gibt Halt. Routinen wie gemeinsame Mahlzeiten, feste Schlafenszeiten und regelmäßige Rituale helfen Ihrem Pflegekind, sich in seiner neuen Familie zurechtzufinden.
Tipps:
- Ein eigenes Zimmer, das das Kind nach und nach mitgestalten kann, ist ein idealer, geschützter Rückzugsort.
- Vermeiden Sie in den ersten Tagen und Wochen ein volles Haus, laute Geräusche und neugierigen Besuch. Das könnte Ihr Pflegekind überfordern.
Die Vergangenheit mitdenken
Pflegekinder bringen oft eine belastende Vorgeschichte mit, die sie geprägt hat. Manche Kinder sprechen offen darüber, andere schweigen. Beides sollten Sie respektieren. Es ist wichtig, die Vergangenheit des Kindes nicht auszublenden, sondern sie mit Respekt mitzudenken.
Tipps:
- Signalisieren Sie, dass es okay ist, über die seine Familie zu sprechen – auch wenn die Erlebnisse dort schwierig waren.
- Pflegekinder dürfen ihre leiblichen Eltern lieben, auch wenn die Zeit manchmal schwer war.
- Fragen wie „Wann sehe ich meine Mama wieder?“ oder „Warum bin ich hier?“ können sehr emotional sein. Sprechen Sie offen, aber kindgerecht. Achten Sie auf Ihre Wortwahl – sagen Sie z. B. „Du wohnst jetzt eine Zeit lang bei uns“ statt „Wir sind jetzt deine Eltern“.
Bindung aufbauen – in kleinen Schritten
Eine verlässliche Beziehung entsteht nicht über Nacht. Pflegeeltern dürfen sich und dem Kind Zeit geben, Nähe zuzulassen. Kleine gemeinsame Momente – beim Vorlesen, Basteln, Kochen oder Spielen – schaffen Verbindung. Auch scheinbar unspektakuläre Alltagsroutinen haben dabei eine große Bedeutung. Beobachten Sie: Wie reagiert das Kind auf Körperkontakt? Wie zeigt es Wohlbefinden? Vertrauen zeigt sich oft in kleinen Gesten.
Tipp:
- Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn sich Ihr Pflegekind zurückzieht, abwehrend reagiert oder wenig Emotion zeigt. Diese Reaktionen sind oft Ausdruck von Unsicherheit und Selbstschutz – nicht von Ablehnung.
Eigene Kinder gut begleiten
Wenn Sie eigene Kinder haben, verändert sich mit der Aufnahme eines Pflegekindes das Familiensystem. Auch Ihre leiblichen Kinder brauchen weiterhin Ihre Aufmerksamkeit und Begleitung und einen angemessenen Raum für ihre Gefühle.
Tipps:
- Beziehen Sie alle Familienmitglieder von Anfang an mit ein, sprechen Sie offen über mögliche Veränderungen und Herausforderungen.
- Nehmen Sie Sorgen oder Eifersucht ernst – ohne zu bewerten.
- Wichtig ist, dass auch für Ihre Kinder verlässliche Strukturen und exklusive Zeiten mit Ihnen bestehen bleiben.
Herausforderndem Verhalten nachsichtig begegnen
Nicht selten kommen Pflegekinder belastet in ihre neue Familie und zeigen in den ersten Wochen herausforderndes Verhalten. Manchmal verlaufen die ersten Tage und Wochen auch problemlos, und plötzlich stellen sich Veränderungen ein. Das können Schlafprobleme sein, Rückzug und abweisendes Verhalten, Wutausbrüche oder Ängste. Machen Sie sich bewusst, dass es kein Zeichen dafür ist, dass etwas „schiefläuft“. Meist sind diese Reaktionen Ausdruck von Hilflosigkeit, Misstrauen und Selbstschutz. Machen Sie sich bewusst, dass Vertrauen erst wachsen muss.
Tipps:
- Geben Sie allen Familienmitgliedern Zeit, ihren Platz und ihre neue Rolle in der Pflegefamilie zu finden.
- Alle Emotionen sind erlaubt. In jeder Familie wird gelacht und geweint, gestritten und sich wieder vertragen. Das ist ganz normal und darf auch in einer Pflegefamilie so sein.
- Lassen Sie sich nicht provozieren. Bleiben Sie in aufgeladenen Momenten ruhig, stellen Sie bewusst Blickkontakt her, bieten Sie Nähe an.
- Nehmen Sie in ernsten Konfliktfällen frühzeitig angebotene Unterstützung in Anspruch, bevor die Belastung zu groß wird. Die erfahrenen Fachkräfte im Jugendamt und bei den freien Trägern bieten Beratung, Begleitung, Supervision und Fortbildungen. Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern für Fürsorge – für das Kind und für sich selbst.
Kontakte mit der Familie
Pflegekinder haben zwei Familien: die leibliche Familie und die Pflegefamilie. Jedes Kind hat ein Recht auf den Umgang mit seinen leiblichen Eltern, wenn es sicher, kindgerecht und konfliktfrei gelingt.
Sofern es das Wohl des Kindes nicht gefährdet, finden regelmäßige Umgangskontakte mit den leiblichen Eltern oder nahen Angehörigen statt. Das ist durchaus ein sensibles Thema – oft sind auf allen Seiten starke Gefühle mit im Spiel. Pflegeeltern sind jedoch aufgefordert, die Kontakte einfühlsam und respektvoll zu begleiten, um Beziehungsabbrüche zu vermeiden und eine positive Verbindung zur Familie aufrecht zu erhalten.
Der Kontakt mit der Familie kann sehr unterschiedlich gestaltet werden, möglich sind:
- persönliche Treffen (in Begleitung oder ohne Begleitung durch eine Fachkraft)
- Treffen in einem geschützten Raum des Jugendamtes oder freien Trägers oder allein auf einem Spielplatz oder zuhause bei den leiblichen Eltern
- indirekter Kontakt durch Briefe, Fotos, etc. – oft vermittelt durch das Jugendamt
- digitale Formate wie Videoanrufe
- regelmäßige Kontakte, wöchentlich oder monatlich oder nach individueller Absprache
In manchen Fällen wird der Kontakt zur Familie auch ausgeschlossen, wenn das Wohl des Kindes gefährdet wäre.
Tipps:
- Damit der Kontakt gelingt, sollten Pflegeeltern eine neutrale und offene Haltung einnehmen. Ihr Pflegekind darf Gefühle für beide Familien haben.
- Die Treffen sollten gut vor- und nachbereitet werden. Besprechen Sie: Wer ist dabei? Wo findet der Kontakt statt? Etc.
- Wenn das Pflegekind nach dem Umgangstermin aufgewühlt ist: Bieten Sie Gespräche an, zeigen Sie Zuwendung und geben Sie Raum für einen Rückzug.
- Unterstützen Sie die Biografiearbeit. Fotos, Erinnerungsstücke, Briefe, etc. können helfen, die Herkunft des Kindes zu achten und gemeinsam einzuordnen.
Begleiteter Umgang
Der Kontakt zu den leiblichen Eltern ist wichtig, damit das Pflegekind seine Wurzeln nicht verliert, auch wenn es jetzt in einer neuen Familie lebt. Doch gestaltet sich der kindgerechte Kontakt nicht in allen Fällen einfach. Vielleicht gab es konfliktbeladene Phasen in der Vergangenheit, oder die leiblichen Eltern benötigen Unterstützung im Umgang mit ihrem Kind. In diesen Fällen kann der Kontakt als sogenannter „Begleiteter Umgang” stattfinden. Das bedeutet, eine Fachkraft des Jugendamtes oder des freien Trägers ist beim Treffen dabei und sorgt für einen geschützten und sicheren Rahmen. Das Treffen findet meist in einem neutralen Raum statt, zum Beispiel in einem Spielzimmer im Jugendamt oder einer sozialen Einrichtung. Die Fachkraft ist während der Begegnung anwesend, beobachtet, vermittelt und unterstützt, wenn Fragen oder Unsicherheiten auftreten. Auch die Pflegeeltern werden von der Fachkraft unterstützt, sich auf die Situation einzulassen. Eigene Unsicherheiten und Ängste können mit der Fachkraft genauso besprochen werden wie mögliche emotionale Reaktionen des Kindes nach den Besuchskontakten.
Tipps:
- Pflegeeltern müssen den begleiteten Umgang nicht selbst organisieren oder begleiten. Das übernimmt die betreuende Fachkraft.
- Es hilft Ihrem Pflegekind, wenn Sie die leibliche Familie weder bewerten noch beurteilen. Mögliche Konflikte sollten nicht auf dem Rücken des Kindes ausgetragen werden.
- Es kann sein, dass Ihr Pflegekind nach dem Besuchskontakt aufgewühlt oder traurig ist. In diesen Momenten sind Sie besonders gefragt, es aufzufangen. Die Fachkraft hilft Ihnen dabei, gute Wege zu finden.
Geduld und Zeit
Ein gutes Ankommen beginnt mit vielen kleinen Schritten. Mit echtem Zuhören und der Bereitschaft, sich auf Ihr Pflegekind einzulassen. Vermutlich wird nicht jeder Tag einfach werden. Es wird vielleicht Momente geben, in denen Sie zweifeln oder sich fragen: „Warum reagiert das Kind jetzt so?”. In solchen Momenten hilft es, sich klarzumachen: Vertrauen braucht Zeit. Bindung wächst von Tag zu Tag. Liebe entwickelt sich langsam.
Tipps:
- Sie müssen keine perfekten Eltern sein. Aber verlässliche Begleiterinnen und Begleiter.
- Seien Sie nachsichtig – sowohl mit Ihrem Pflegekind als auch mit sich selbst. Pflegeelternschaft ist eine besondere Form der Beziehung. Sie beginnt oft mit Ungewissheit – und wächst mit jedem Tag, den Sie gemeinsam meistern.
- Der Aufbau einer echten Bindung kann Tage, Wochen oder Monate dauern. Lösen Sie sich von zu großen Erwartungen an schnelle Nähe oder dankbares Verhalten.
Wo finden wir Hilfe und Beratung?
Pflegefamilie zu werden ist nichts, was Sie alleine bewältigen müssen. Sie haben Anspruch auf Beratung und individuelle Unterstützung. Feste Ansprechpersonen vom Jugendamt oder freien Träger stehen Ihnen dabei eng zur Seite. Die erfahrenen Fachkräfte haben Antworten auf alle Fragen zum Pflegeverhältnis, sie sorgen für emotionale Entlastung und geben fachlichen Rat in Krisen- und Konfliktsituationen.
Spezielle Unterstützungsmöglichkeiten können Sie gemeinsam mit den Fachkräften in den regelmäßig stattfindenden Hilfeplanungskonferenzen besprechen und vereinbaren.
Als Pflegeeltern haben Sie die Möglichkeit, Ihr Fachwissen in Gesprächsgruppen mit anderen Pflegeeltern, in Workshops und Fortbildungsveranstaltungen kontinuierlich auszubauen. Suchen Sie gern Netzwerke vor Ort oder Online-Communities mit anderen Pflegeeltern, um sich miteinander auszutauschen und gegenseitig zu bestärken.