
Interview mit Nicola Stroop: Einsamkeit von Alleinerziehenden
„Probier´s aus. Geh schnuppern!“– Ein Interview über Einsamkeit von Alleinerziehenden mit Nicola Stroop vom VAMV NRW
Alleinerziehende tragen häufig die gesamte Verantwortung für ihre Familie. Zwischen Kita, Job und Haushalt sind sie rund um die Uhr für ihre Kinder da. Trotz sozialer Kontakte im Alltag bleibt oft wenig Zeit, Beziehungen zu pflegen oder sich mit anderen auszutauschen. Die Folge: Viele alleinerziehende Mütter und Väter sind isoliert oder fühlen sich einsam.
Um herauszufinden, wie verbreitet Einsamkeit unter Alleinerziehenden ist und was dagegen hilft, haben wir mit Nicola Stroop vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter in Nordrhein-Westfalen e. V. (VAMV NRW) gesprochen. Ein Interview über besondere Herausforderungen, Lösungswege und den Mut, einfach mal zu einem Treffen zu gehen.
Familienportal.NRW: Den Alltag und die Erziehung solo stemmen zu müssen, ist für Alleinerziehende ein echter Kraftakt. Hinzu kommt, dass sich alleinerziehende Elternteile verstärkt einsam fühlen. Gibt es Zahlen oder Studien, die das Ausmaß der Einsamkeit greifbar machen?
Nicola Stroop: Wir setzen als Selbsthilfeorganisation eher auf qualitative Erfahrungen. In unseren Begegnungen berichten Alleinerziehende oft von Einsamkeitsgefühlen, auch wenn sie das Wort „Einsamkeit“ selbst meist meiden. Es ist ein Begriff, der für viele Menschen negativ und schambesetzt ist. Alleinerziehende klagen daher eher über fehlende Möglichkeiten, Freundschaften zu pflegen, weil sie rund um die Uhr mit ihrem Kind zusammen sind. Oder sie beschreiben, wie unverstanden sie sich in ihrem Freundeskreis mit ihrer Lebenssituation fühlen. Die wenigsten sagen aber klar „Ich bin einsam!“. Dieses Phänomen wird von der Forschung bestätigt. Einsame Menschen vermeiden den Begriff, weil es gesellschaftlich mit persönlichem Versagen verbunden wird – und damit können und wollen sie sich nicht identifizieren.

Welche Angebote gegen Einsamkeit gibt es, und warum erreichen sie oft nicht die Menschen, die sie benötigen?
Unsere Landesfachstelle Alleinerziehende ist in engem Kontakt mit Trägern aus NRW, die vor Ort Angebote für Alleinerziehende organisieren. Von den Trägern hören wir immer wieder, dass Angebote gegen Einsamkeit oft nicht angenommen werden – vor allem, wenn sie direkt als solche „gelabelt“ sind. Das ist, wie schon gesagt, darauf zurückzuführen, dass sich Menschen ihre Einsamkeit oft nicht eingestehen. Sie sind deswegen mit dieser Ansprache auch schwierig erreichbar. Wir raten daher, das Label „Einsamkeit“ zu vermeiden und stattdessen themenspezifische Angebote zu schaffen, die das Interesse der Alleinerziehenden eher wecken und Hemmschwellen abbauen.
Oft ist die Frage an uns herangetragen worden, was die Träger tun können, damit ihre gutgemeinten Angebote mehr Alleinerziehende erreichen. So entstand die Idee, einen Fachaustausch zum Thema Einsamkeit auf die Beine zu stellen. Auf den Fachtagen im Mai und im November dieses Jahres stellen Akteure Best-Practice-Beispiele vor. So können die Träger ihre Erfahrungen austauschen und voneinander zu profitieren.

Welche Möglichkeiten haben Alleinerziehende, der sozialen Isolation zu entkommen, zumal die Zeit im Alltag ja oft knapp ist?
Isolation ist ja nicht gleich Einsamkeit. Manche Alleinerziehende sind isoliert, fühlen sich aber nicht einsam – und umgekehrt. Tatsache ist jedoch: Alleinerziehende, vor allem mit kleinen Kindern, ohne Job, womöglich ohne Kontakt oder Unterstützung durch den anderen Elternteil (also wirklich 24/7 mit dem Kind allein), sind isolierter als andere. Sie sind darauf angewiesen, ihre Kinder entweder mitzunehmen oder Aktivitäten von zu Hause aus wahrnehmen zu können.
Besonders für Alleinerziehende mit kleinen Kindern sind Online- und Social Media-Angebote eine große Chance. Sie bieten die Möglichkeit, vom Sofa aus Kontakte zu pflegen. Das ersetzt natürlich keine persönliche Begegnung, ist aber ein guter Weg, um eine gewisse Zeit zu überbrücken. Wir als Verband waren daher sehr früh auf Facebook aktiv, jetzt auch auf Instagram. Dort bieten wir quasi Online-Selbsthilfe an. Außerdem finden unsere Veranstaltungen entweder online statt oder in Präsenz mit Kinderbetreuung – meist sogar hybrid. Ohne diese Zweigleisigkeit wären die Angebote einfach an den Bedarfen von Alleinerziehenden vorbeigeplant.

Welche konkreten Netzwerke und Plattformen sind besonders hilfreich für Alleinerziehende?
Es gibt fast in jeder Kommune gute Angebote für allein erziehende Mütter und Väter, doch nicht immer wissen die Alleinerziehenden davon. In punkto Öffentlichkeitsarbeit gibt es da sicher an einigen Stellen Verbesserungspotenzial. Die Angebote funktionieren am besten, wenn sie wirklich passgenau sind und der persönliche Aufwand gering ist. Niemand nimmt sich einen Tag Urlaub, um am Dienstagvormittag einen Frühstückstreff auszuprobieren. Schon anders sieht es aus, wenn das Angebot am Wochenende stattfindet, mit dem ÖPNV gut erreichbar ist und das Kind mitgebracht werden kann.
Alleinerziehende, die sich beim VAMV NRW melden, unterstützen wir, indem wir sie an die lokalen Angebote vermitteln. Wir kennen die Angebotslandschaft ja sehr gut und genießen als Mitgliederverband eine sehr hohe Glaubwürdigkeit bei den Alleinerziehenden. Wenn wir etwas empfehlen, vertrauen uns die Alleinerziehenden. Wir sagen immer „Probier es doch mal aus. Wenn es doof ist, dann kannst du ja gehen oder einfach das nächste Mal nicht hingehen“.
Außerdem bieten wir als Verband auch eigene attraktive Angebote für allein erziehende Mütter und Väter an – die kann ich natürlich ebenfalls bestens empfehlen!

Welchen Rat möchten Sie Alleinerziehenden persönlich mit auf den Weg geben, die sich gerade einsam fühlen?
Ich bin seit 13 Jahren beim VAMV und habe sehr, sehr viele Gespräche mit Alleinerziehenden geführt. Mein Rat ist daher: „Glaub mir, du bist nicht allein. Es gibt viele Menschen da draußen, die genau verstehen, wie du dich fühlst. Geh einfach mal zu einem Treffen, einem Kurs oder einer Veranstaltung. Fass dir ein Herz, geh schnuppern. Du hast nichts zu verlieren! Was kann im schlimmsten Fall passieren? Wenn es dir nicht gefällt, gehst du halt nicht wieder hin.“
Nicola Stroop, vielen Dank für das Gespräch!
(Das Gespräch wurde 2025 geführt)
Über Nicola Stroop
Nicola Stroop ist Vorständin im Verband allein erziehender Mütter und Väter in Nordrhein-Westfalen. Der Mitgliederverband ist seit 1976 die politische Stimme von 500.000 Alleinerziehenden in NRW. Der VAMV NRW macht Lobbyarbeit für Alleinerziehende und ihre Familien und setzt sich für eine gesellschaftliche, soziale und politische Gleichstellung von Einelternfamilien ein. Mehr Informationen unter www.vamv-nrw.de.